Umfassendes Konzept für einen innovativen Anlagenpark

Die Stadtreinigung Hamburg (SRH) zählt zu den größten kommunalen Dienstleistern im Bereich der Recycling- und Abfallwirtschaft in Europa. Als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger und zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb sammelt, transportiert und behandelt die SRH Abfälle aus rund 915.000 Hamburger Haushalten und etwa 100.000 unterschiedlichen Gewerbebetrieben. Seit 2011 setzt der SRH-Konzern mit der so genannten „Hamburger Recycling-Offensive“ gezielt auf Kreislaufwirtschaft, d.h. Getrenntsammlung und Upcycling. Zur Gewährleistung der langfristigen Entsorgungssicherheit in Hamburg und im Einklang mit europäischen, nationalen und lokalen Vorgaben hinsichtlich Klima- und Ressourcenschutz in der Abfallwirtschaft bedient das Unternehmen inzwischen zwei grundsätzliche Behandlungswege – je nach ökonomischer und ökologischer Sinnhaftigkeit für die jeweilige Abfallfraktion:

  • Stoffliche Verwertung und Vermarktung von Abfallfraktionen, die wiederverwendet oder wiederverwertet werden können
  • Energetische Verwertung von Bioabfällen und Restmüll durch Vergärung (und anschließende Kompostierung), bzw. thermische Behandlung mit Energie- und Sekundärrohstofferzeugung (bestehende Anlagen: Müllverwertungsanlage Borsigstraße, Müllverwertungsanlage Rugenberger Damm (Beteiligung), EEW Energy from Waste (Vertragsanlage), Biogas- und Kompostwerk Bützberg, Nassfermentationsanlage BIOWERK (Beteiligung)).

Die Grundlagen für die langfristige Entwicklung der Hamburger Abfallwirtschaft zu einer Kreislauf- und Ressourcenwirtschaft wurden in einem Projekt (Ressourcenwirtschaft der SRH in den nächsten 20 Jahren; 2011 – 2013) fundiert erarbeitet. Basierend auf der Prognose der Entwicklung von Abfallströmen wurden verschiedene Verfahren zur Verwertung, Rohstoffgewinnung und Energieproduktion untersucht und einander gegenüber gestellt.

Mit Stilllegung der MVA Stellinger Moor (Mitte 2015) verfügt die SRH nun zudem über ausreichend Platz an einem abfallwirtschaftlich genehmigten Standort, um die umfänglichen Ziele zum Ressourcenschutz umzusetzen. Dazu ist mit Wegfall der Abfallbehandlungskapazität in Stellingen auch der Umschlag von Hausmüll, der bis Mitte 2015 in der MVA Stellinger Moor entsorgt wurde, ökonomisch und ökologisch sinnvoll zu sichern.

Ehemalige MVA Stellingen. Quelle: SRH / Ralf Breer

Ehemalige MVA Stellingen. Quelle: SRH / Ralf Breer

 

Im Rahmen der Planungen wird von einem Rückbau (ggf. Teilrückbau) der MVA sowie von einer kompletten Nutzung (ggf. ist der Flächenbedarf größer als die Rückbaufläche) des frei werdenden Geländes ausgegangen. Das Konzept „Zentrum für Ressourcen und Energie“ umfasst folgende Anlagenelemente:

  • Sortierung von Hausmüll mit anschließender Behandlung (Vergärung) der Feinfraktion; dabei optionale Behandlung abfallstämmiger Biomasse in Teilbereichen der Anlage
  • Vergärung des Bio- und Grünabfalls, der in den anliegenden Stadtteilen anfällt; dabei optionale Behandlung weiterer abfallstämmiger Biomasse in Teilbereichen der Anlage
  • Biogasnutzung unter Berücksichtigung der Biogaserzeugung durch das BIOWERK mit optionaler Gaserzeugung Power to Gas und Methanisierung des erzeugten Wasserstoffs
  • Langfristige Sicherung des Abfallumschlags (Restabfall, Bioabfall, Kehricht, PPK, Folie)
  • thermische Nutzung von Produktfraktion aus obigen Verfahren, soweit diese nicht in bestehenden SRH-Anlagen eingesetzt werden können, z.B. heizwertarme Biomasse, aber auch Altholz in einem Biomasseheizkraftwerk; optional kombinierbar mit Power to Heat
  • Eigenstromerzeugung mit einem Blockheizkraftwerk.
Konzept Massenströme

Bereits umgesetzt ist die Errichtung eines gasgefeuerten Kessels am Standort zur Sicherung der Fernwärmeversorgung im Netz von HanseWerk Natur (Betreiber ist HanseWerk Natur) in Verbindung mit einem Wärmespeicher. Dies war aufgrund der Stilllegung der MVA Stellinger Moor und des dadurch bedingten Wegfalls der Fernwärmeerzeugung erforderlich. Im Rahmen der Konzeptionierung werden zudem innovative Verfahren wie die Erzeugung von Biokohle betrachtet.

Konzept Massenströme / Zentrum für Ressourcen und Energie

Stellingen

Nach aktuellem Planungsstand können die genannten Teilanlagen auf dem Gelände der ehemaligen MVA platziert werden. Einige Gebäudehüllen können für den Anlagenpark weiter verwendet werden wie z.B. Kipphalle und Müllbunker für die Hausmüllsortierung und die thermische Biomassenutzung. Zudem können das BIOWERK (Nassfermentationsanlage für gewerbliche Bioabfälle), der Fernwärmekessel mit Wärmespeicher von HanseWerk Natur sowie die 110 kV Transformatoren und die Mittelspannungsschaltanlagen weiterhin am Standort betrieben werden.

Mit dem geplanten Anlagenpark sowie den bereits bestehenden Abfallbehandlungsanlagen könnte die SRH nennenswerte Beiträge zu einem zukunftsorientierten integrierten Wärmekonzept der Freien und Hansestadt Hamburg liefern.

 

Standort Stellingen

Grundsätzlich sind zwei Ausbauoptionen für den Anlagenpark möglich. Der Grundausbau umfasst ausschließlich die Behandlung von hoheitlichen Abfallmengen. Ein erweiterter Ausbau ermöglicht zusätzlich die Behandlung von heizwertarmer, abfallstämmiger Biomasse Dritter, die in einer zweiten Linie der thermischen Biomassebehandlung verwertet werden können. Der Ausbau zielt auf bisher nicht bzw. nur unzureichend genutzte abfallstämmige Biomassen und nutzt dafür die Synergieeffekte am Standort Stellingen. Der erweiterte Ausbau ist ohne wesentlichen betrieblichen Mehraufwand unter Steigerung der Gesamtenergieeffizienz möglich.

Abfallsammelfahrzeuge. Quelle: SRH / Ralf Breer

Abfallsammelfahrzeuge. Quelle: SRH / Ralf Breer

Der Standort Stellingen verfügt über eine gute logistische Anbindung für Müllfahrzeuge und Betriebsmittelfahrzeuge und es besteht eine gute energetische Infrastruktur. So gibt es eine Einspeisemöglichkeit für elektrische Energie bis etwa 45 MW. Es existieren zwei Erdgasanschlüsse (8 MW plus etwa 40 MW) und die Fernwärmeabgabe an das Netz von HanseWerk Natur kann bis 24 MW erfolgen (Grundlast von etwa 6 MW auch im Hochsommer). Des Weiteren bestehen grundsätzliche Anbindungsmöglichkeiten zu einem weiteren in der Nähe liegendem Fernwärmenetz; die möglichen Einspeisepunkte liegen etwa 2 bis 3 km vom Standort Stellingen entfernt. Falls nur etwa 30 bis 40 MW Fernwärme transportiert werden müssen, kann die Leitung relativ klein ausgeführt werden, so dass die bauliche Ausführung wenig aufwendig und folglich auch die Investitionskosten verhältnismäßig gering wären.

 

Input- und Outputströme der Teilanlagen

Nachfolgend sind die geplanten Massenbilanzen (s. Tabelle 1) der Sortieranlage, der Anlage zur Vergärung von Bio- und Grünabfall sowie des Biomasseheizkraftwerks aufgeführt.

Tabelle 1 – Massenbilanzen der Teilanlagen Stand 15.01.2016

Das geplante Zentrum für Ressourcen und Energie kann einen verlässlichen Beitrag zur Energiebereitstellung leisten (s. Tabelle 2). Für den Grundausbau (Behandlung von hoheitlichen Abfällen) ist ein Heizkraftwerk mit einer Feuerungswärmeleistung von 20 MW ausreichend. In dem erweiterten Ausbau werden zusätzlich bis zu 75.000 Mg/a heizwertarme abfallstämmige Biomassen Dritter eingesetzt, so dass ein Heizkraftwerk mit einer höheren Leistung (40 MW) erforderlich wird. Zur Vervollständigung ist auch die Energieproduktion aus dem BIOWERK sowie aus dem Besicherungskessel von HanseWerk aufgeführt.

Tabelle 2 – Energieerzeugung Standort Stellingen

Außerdem können bis zu 5.500 m³/h Biogas erzeugt und in das Erdgasnetz eingespeist werden. Für den erweiterten Ausbau ist zu prüfen, ob zum gesicherten Wärmeabsatz im Sommerhalbjahr zusätzlich eine 20 MW-Fernwärmeleitung (mindestens) zum Fernwärmenetz errichtet werden sollte.

 

Energiepolitische Ausbauoption zur Erreichung der Energiewende Hamburg

Zur Deckung des Eigenstrombedarfs der hoheitlichen Entsorgungsaufgaben der SRH sind bereits beim Grundausbau die Errichtung und der Betrieb eines erdgasbefeuerten Blockheizkraftwerkes mit einer elektrischen Leistung von rund 2 MW vorgesehen worden.

Aus energiepolitischer Sicht könnte am Standort Stellingen ein zusätzlicher (kleiner) Beitrag für die Sicherung der Wärmeversorgung der FHH geliefert werden. Dazu würden, entsprechend den infrastrukturellen Voraussetzungen bezüglich des Erdgasanschlusses und der Abgabe von elektrischer Energie, eine zusätzliche KWK-Anlagen errichtet. Diese Anlagenerweiterung ist in der Lage, zur Versorgung des Fernwärmenetzes additiv bis 23 MW Wärme bereitzustellen. Außerdem würden über den KWK Prozess weitere 23 MW elektrische Energie erzeugt.

Die zusätzliche elektrische Energie kann über die vorhandenen 110 kV Transformatoren in das Netz eingespeist werden. Bei dieser Ausbauoption müsste in jedem Fall eine (kleine) Fernwärmeleitung zum Fernwärmenetz gebaut werden.

 

Ausblick

Die Konzeptphase für die Errichtung des Zentrums für Ressourcen und Energie wurde plankonform Mitte Januar 2016 abgeschlossen. Erste Betrachtungen zur grundsätzlichen Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit ergaben, dass das Konzept durch die SRH umgesetzt werden kann. Auch der Platzbedarf kann für die Teilanlagen auf dem Gelände der ehemaligen MVA Stellinger Moor gedeckt werden, ggf. ist mit einem kommunalen Nachbarn über zusätzlichen Grundstücksbedarf zu verhandeln. Die nächsten Phasen umfassen für jede Teilanlage individuell die Auswahl der Vorzugsvarianten, die Auftragsvergaben für Bau und Lieferung, die Genehmigung sowie den Bau und letztendlich die Inbetriebnahme. Wird das Konzept in der aktuellen Form umgesetzt, würden zunächst der Abfallumschlag (Sommer 2017) und die Eigenstromerzeugung (Herbst 2017) fertig gestellt werden können. Im weiteren Verlauf würden die Sortieranlage, die Bioabfallvergärung und die Biogasnutzung folgen (Frühling / Sommer 2019). Den Abschluss (Frühjahr 2020) würde die thermische Biomasseanlage bilden.

Durch die Abfallbehandlungsmaßnahmen im geplanten Zentrum für Ressourcen und Energie könnte die Recyclingquote der SRH auf 59 Prozent in 2020 erhöht werden (aktuell: 37 Prozent). Dazu käme eine CO2-Einsparung von bis zu 50.000 Mg/a allein durch die Energieerzeugung des neuen Anlagenparks (Einsparungen durch Getrenntsammlung und Energieerzeugung gesamt 2014: rd. 750.000 Mg). Mit den bereits bestehenden Abfallbehandlungsanlagen MVB Borsigstraße und MVR Rugenberger Damm und den möglichen neuen Anlagen des Zentrums für Ressourcen und Energie, könnten in Summe etwa 44,5 bis 46,5 MW Strom sowie 195 bis 210 MWh Wärme für die Freie und Hansestadt generiert werden. Das im BKW Bützberg erzeugte Biogas bleibt hier energetisch unberücksichtigt.

Die SRH bleibt damit – entsprechend der 5-stufigen Abfallhierarchie – weiterhin auf dem Weg der Doppelstrategie aus Wiederverwendung bzw. stofflicher Verwertung und thermischer Verwertung der Abfallströme. Mit dieser Diversifizierung setzt die SRH europäisches Recht und nationale Gesetzgebung um, liefert nennenswerte Beiträge zum Klima- und Ressourcenschutz und agiert als öffentliches Unternehmen ökologisch und ökonomisch gleichermaßen sinnvoll.

Insgesamt ist das Konzept für das Zentrum für Ressourcen und Energie ein innovativer und umfassender Weg für eine zukunftsweisende Abfallbehandlung und ein deutliches Signal für die Entwicklung der Hamburger Abfallwirtschaft in eine stabile Kreislaufwirtschaft vor dem Hintergrund einer langfristigen Entsorgungssicherheit. Darüber hinaus könnte ein nennenswerter Beitrag zur Hamburger Energiewende geliefert werden. Das gesamte Konzept steht noch unter dem Vorbehalt notwendiger Gremienzustimmungen der SRH.

Text: Rhea Hellermann, Jens Niestroj, Prof. Dr. Rüdiger Siechau, Stadtreinigung Hamburg, Stand 10.02.2016